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Seit nunmehr 6 Jahren ist in Niedersachsen ein Hundegesetz in Kraft, welches auf jedwede Diskriminierung von Hunderassen und Unterscheidung aufgrund von Größe/Gewicht verzichtet und die Möglichkeit bietet, Hunde wegen Vorfällen als individuell gefährlich einzustufen. Zu Beißvorfällen kam es in den vergangenen Jahren trotzdem immer wieder. Die Betrachtung jedes einzelnen Falles lässt stets eine Gemeinsamkeit erkennen: Ungeeignete Hundehalter, denen notwendige Kenntnisse über Hundehaltung und Hundeverhalten fehlen und die aufgrund ihrer Hundehaltung in der Regel bereits (zum Teil mehrfach) aufgefallen waren, ohne dass die Ordnungsbehörden die Möglichkeiten des Niedersächsischen Hundegesetzes bzw. des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes ausgeschöpft hätten, um durchaus vorhersehbare Hundevorfälle zu vermeiden.

So auch in dem tragischen Fall aus Juni diesen Jahres, als zwei freilaufende Rottweiler zwei kleine Kinder und ihre Mutter schwer verletzten. Die Hundehalterin: Eine mehrfach wegen Drogendelikten vorbestrafte Frau, die mit einer verantwortungsvollen Hundehaltung vollkommen überfordert war.

Erneut wurden Forderungen nach Wiedereinführung einer Rasseliste laut, zunächst auch von Landwirtschaftsminister Ehlen (CDU) angekündigt, der diese dann aber zurücknahm. Geplant sind nun ein Sachkundenachweis für Hundehalter, die Einführung einer Haftpflichtversicherungspflicht und die Kennzeichnung und Registrierung aller Hunde – zentrale Forderungen, die unser Verein seit Jahren vertritt. Sowohl der CDU-Koalitionspartner FDP als auch die grüne Landtagsfraktion haben von Anfang an in ihren Pressemitteilungen und Anträgen auf das Kernproblem bei Beißvorfällen, nämlich unzureichend ausgebildete und unverantwortliche Hundehalter, hingewiesen, denen mit geeigneten Maßnahmen wie den obigen zu begegnen ist. Unser Verein hat sich bei der Diskussion wie bereits bei der Anhörung zum niedersächsischen Hundegesetz im Jahr 2002 mit Stellungnahmen und Vorschlägen an das Landwirtschaftsministerium, an die FDP-Fraktion und in einem besonders fruchtbaren Austausch mit der Landtagsfraktion der Grünen eingeschaltet, die erfreulicherweise positiv aufgenommen worden sind. Lediglich die SPD-Landtagsfraktion sprang auf das vermeintlich populistische Pferd auf und fordert bei völliger Nichtbeachtung wissenschaftlicher und empirischer Erkenntnisse die Wiedereinführung einer Rasseliste. Ignoranz, Demagogie und Populismus haben allerdings selten zu politischen Erfolgen geführt.

Die Forderungen von CDU, FDP und insbesondere den Grünen sind auf den ersten Blick (teilweise) insbesondere aus Gründen des Tierschutzes begrüßenswert – werden jedoch kaum den beabsichtigten Zweck der Gefahrenabwehr erfüllen können. Eine wie von der CDU-Fraktion geforderte Verpflichtung, vor Anschaffung eines Hundes, der mindestens 20 kg wiegt und/oder eine Höhe von 40 cm übersteigt, einen wie auch immer gearteten Sachkundenachweis zu erbringen, ist völliger Unsinn. Von jedem Hund, egal welcher Größe und welchen Gewichts, kann naturgemäß eine Gefahr ausgehen. Insbesondere ist hier auch zu beachten, dass bei den meisten Beißvorfällen Kinder betroffen sind. Ein kleines Kind kann von einem Dackel oder Jack Russel Terrier ebenso schwer verletzt werden, wie von einem Schäferhund oder Rottweiler. Die Forderung nach einem (kleinen?) Hundeführerschein ist zwar eine, die wir zusammen mit anderen Tierschutzverbänden und Fachwissenschaftlern seit Jahr und Tag stellen, nur muss sie sich auf ausnahmslos alle Hundehalter und Personen, die sich mit dem Hund in der Öffentlichkeit bewegen, beziehen. Ausnahmen für ältere Personen, Besitzer jagdlich geführter Hunde oder langjährige Hundehalter sollten nicht möglich sein. Jeder verantwortungsvolle (potentielle) Hundehalter hätte kein Problem damit, seine Sachkunde unter Beweis zu stellen, wenn ihm hierfür keine Unsummen abgenommen werden würden. Auch Familienmitglieder, die den Hund ausführen wollen, sollten hiervon keinesfalls ausgeschlossen werden. Wie häufig sieht man Hunde, die von minderjährigen Familienmitgliedern ohne Beisein Erwachsener regelrecht durch die Gegend gezerrt werden, ohne dass man den Eindruck hat, dass sie den Unterschied zwischen einem Lebewesen und einem Spielzeugauto erkennen würden. Auch die Forderung nach einer Haftpflichtversicherungspflicht wird unsererseits seit Jahren erhoben, um Opfern von Vorfällen wenigstens finanzielle Entschädigung zu garantieren.

Über eines muss man sich jedoch im Klaren sein: Keine dieser Regelungen wird helfen, Vorfälle mit Hunden in Zukunft zu reduzieren, wenn das Vollzugsdefizit bestehen bleibt. Wenn Ordnungsbehörden schwarze Schafe unter den Hundehaltern, die sich an gesetzliche Regelungen nicht halten, nicht konsequent zur Rechenschaft ziehen, läuft jede noch so scharfe Regelung, die Öffentlichkeit vor gefährlichen Hunden zu schützen, ins Leere. Da dieses Vollzugsdefizit bestehender Regelungen des Niedersächsischen Hundegesetzes zweifellos besteht, wird eine effektive Kontrolle weitergehender Regelungen ebenso wenig gegeben sein.

Die Forderung nach einem Hundeführerschein ist zwar aus Tierschutzgründen begrüßenswert, über die Umsetzung hat man sich aber bislang offenbar keine ernsteren Gedanken gemacht. Der angedachte Hundeführerschein soll weder ein Wesenstest, noch eine Ausbildung mit dem Ziel der Begleithundeprüfung sein. Im Gespräch ist eine Gehorsamsprüfung, die jeder Hundehalter beispielsweise bei seinem Tierarzt durchführen könne – so zumindest aus der CDU-Fraktion zu hören. Es dürfte jedoch illusorisch sein, dass ein Tierarzt seine Klientel mit dem dahingehenden Hinweis vor den Kopf stößt, sie sei nicht in der Lage, mit ihrem Hund richtig umzugehen bzw. ihr kleiner Liebling sei eine potentielle Gefahr für andere. Selbst wenn der ein oder andere jedoch eine durch derartiges Verhalten drohende Schädigung seines Wirtschaftsbetriebes Tierarztpraxis in Kauf nehmen würde: Welche Verantwortung käme auf den Tierarzt zu? Sollen die Tierärzte eine Meldung an die Amtsveterinäre machen, eine Empfehlung für eine Hundeschule/Verhaltenstherapie oder gar die Empfehlung der Tötung des Hundes aussprechen? Welche Tierarzt ist denn tatsächlich fachlich in der Lage, problematisches Verhalten im Hund-Halter-Gespann zu erkennen und richtig einzuschätzen? Wie wird sich wohl ein Tierarzt fühlen, wenn ein von ihm gerade als ungefährlich beurteilter Hund am nächsten Tag ein Kind schwer verletzt?

Bevor das Bestehen eines Sachkundenachweises/Hundeführerscheins gesetzlich verlangt wird, müssen für die Erfüllung zunächst einmal die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten geprüft werden. Ein solcher Nachweis kann und darf nur von einer wirklich kompetenten und unparteiischen Stelle abgenommen werden. Eine derartige neue Regelung muss vor Inkrafttreten mit diesen Stellen abgesprochen werden und die tatsächlichen Kapazitäten ausgelotet werden. Zu überlegen ist auch, was mit den Hunden/Haltern passieren soll, die diese Prüfung nicht bestanden haben. Logische Konsequenz ist ein (tierschutzwidriger) Maulkorb- und Leinenzwang, der aber möglichst zügig durch Ablegung eines Kurses/Absolvierung einer Verhaltenstherapie wieder entfallen können muss. Nur, welche Hundeschule ist denn überhaupt geeignet, problematische Hunde und ihre Halter zu schulen? Jeder, der sich in irgendeiner Form hierzu befähigt fühlt, kann sich Hundetrainer nennen und eine Hundeschule eröffnen. Wirklich qualifiziert sind jedoch die wenigsten.

Ein neuerlicher Hundevorfall vor wenigen Tagen – ein Mischling verletzte ein Kind – hat nun offenbar dazu geführt, dass die kontrovers geführte Debatte im Landtag zunächst eingestellt werden soll – so berichtete jedenfalls die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Ein neues Hundegesetz soll vorerst auf Eis gelegt werden. Es bleibt demnach zu hoffen, dass die verantwortlichen Politiker ihr weiteres Vorgehen zur Abwechslung einmal vorher mit wirklichen Sachverständigen abstimmen.

Nachsatz: Die Bezeichnung Hundehalter und Tierärzte ist selbstverständlich geschlechtsneutral zu verstehen. Dr. Marlene Klatt, Referentin für Nothundevermittlung Anke Nielsen, 1. Vorsitzende