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Panikmache durch die Medien, Hysterie in der Bevölkerung und Unfähigkeit in der Politik - Deutschland macht sich fit für das 21. Jahrhundert

Von Falk Schöning

   Nie konnte man die Richtigkeit der Einschätzung der Deutschen seitens des leider früh verstorbenen Johannes Gross besser bestätigt sehen als zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Satiriker zeichnete folgendes Bild seiner Landsleute: "Als die ersten Vormenschen sich aufrichteten, um fortan auf zwei statt auf vier Beinen zu laufen, eilte sofort ein Deutscher herbei und warnte: Das sei gefährlich, ihnen drohe der baldige Sturz, besonders den Kindern und Alten."
 
   Dass denjenigen, die dem gutgemeinten Rat dieses Urgermanen gefolgt sind, ihr Verbleib bei der Vierbeinigkeit mittlerweile dank der deutschen Kollektivpanik nicht besonders viel genützt hat, zeigt sich eindrucksvoll anhand der Kampfhund- und Rinderseuchendebatte der letzten Monate. Hier trifft eine ausgeprägte Angst vor allem Neuen auf schlecht recherchierende und verantwortungslose Medien - eine Mischung, die ebenso gefährlich ist wie die aus Mittelmaß und Selbstzufriedenheit, die BDI-Chef a.D. Hans-Olaf Henkel bei Bundeskanzler Schröder diagnostizierte.

   Was haben die Themen Kampfhunde, Rechtsradikalismus, BSE und Uranmunition gemeinsam? Bei allen wird eine zweifellos bestehende Problematik, die schon seit Jahren bekannt war, durch ein aktuelles Exempel, bei dem glücklicherweise Journalisten der Bild-Zeitung und von RTL-Explosiv anwesend waren, zu einem menschheitsbedrohenden Auftakt der Apokalypse hochgeschrieben bzw. -berichtet. Gierig saugt das katastrophenhungrige Volk jede dieser Nachrichten auf, um sie anschließend mit einem "Sauerei, dem kleinen Mann auf der Straße hat man nie was davon gesagt!" zu kommentieren. Zum Glück hat Gerhard Schröder immer eine schnelle Lösung und einen richtigen Minister bzw. dessen Nachfolger parat. Leider ist das erste nicht automatisch auch das Beste, was uns passieren konnte. 

    NRWs grüne Umweltministerin Höhn hatte zwar nach zwei Kampfhundattacken innerhalb von 48 Stunden ihre berüchtigte Hundeverordnung auf dem Tisch, doch eine vernünftige Definition eines gefährlichen Hundes war ihr so schnell nicht eingefallen. Konsequenz: Wir wissen endlich alle, dass man Beißwut in Zentimetern (Körpergröße) messen kann, und die Tierheime quellen über vor Hunden, die zwar nicht böse sind, aber auf einer Liste stehen, die man sich in Düsseldorf mal eben ausgedacht hat. Die sonst so angriffslustige Ministerin hatte sich dem Druck gebeugt, den die Boulevardpresse mit ihrer Schlagzeile "Tötet die Bestien!" aufgebaut hatte. Hauptsache, das Gewissen ist beruhigt.

   Auch das Verhalten der Deutschen beim Thema BSE legt die Vermutung nahe, dass die Inkubationszeit der Krankheit geringer als gedacht ist. Erst wähnen sie sich auf der europäischen Insel der Glückseligen, die als einzige von den Vorfällen verschont bleibt. Als dann die ersten BSE-Tests auch in Deutschland positiv sind, beginnt das kollektive Testamenteschreiben nebst eingestreuter Fragen der Kanzlergattin, was wir denn noch essen dürften. An Fakten ist bisher lediglich bekannt, dass in England, dem Mutterland der verrückten Kühe und Fußballer, 84 Menschen an einer neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben sind. Diesen stehen über 200.000 BSE-Rinder gegenüber, was schon angesichts der Quote die Furcht vor einer Epidemie ausschließen sollte. Wissenschaftlich nachgewiesen ist der Zusammenhang zwischen beiden Krankheiten bisher ebensowenig wie die Ansteckungsgefahr durch den Genuss von Muskelfleisch. Zur Sicherheit schlachten die Deutschen aber lieber die ganze Herde, anstatt den Rest der Tiere zu Forschungszwecken wie in der Schweiz zu beobachten.

   Da die gemeinsame Sorge um die eigene Gesundheit im Land der Kassenpatienten inzwischen zur liebsten Freizeitbeschäftigung geworden ist, kam das Thema "Uranmunition" gerade recht, um für etwas Abwechslung von den inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Nachrichten über "Rindfleisch-positive Leberwürste" zu sorgen. Zwar ist auch hier eine Verbindung zu den bekannten Leukämie-Fällen, insbesondere bei der Bundeswehr, medizinisch nicht bewiesen, aber allein der Begriff "Uran"garantiert auf den Titelseiten der Gazetten für eine Steigerung der Auflage. Der frisch verliebte Verteidigungsminister Graf Scharping sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, als habe er heimlich einen Atomkrieg geführt und keinem etwas davon erzählt. Der Sowjetunion wäre es in den Achtzigern sicher recht gewesen, wenn wir unsere Munition nach Kriterien wie "ökologisch abbaubar" statt nach der Durchschlagskraft ausgesucht hätten.

   Durchschlagskraft bewies auch das gesamte Spektrum des deutschen Gutmenschentums am Beispiel des Rechtsextremismus, indem es nun beweisen will, dass die NPD nur noch durch ein Verbot an der Übernahme des Kanzleramtes gehindert werden kann. An keinem anderen Thema zeigt sich deutlicher die Gefahr intensiver Medien-Meinungsmache, die eine bestimmte Meldung bringen will und der jeder Auslöser recht ist, auch wenn er sich letztlich nicht als Naziattacke erweist. Das aktuelle Ausmaß der rechtsextremen Bedrohung auszuloten, soll hier gar nicht versucht werden - es ist in der gebotenen Kürze auch nicht möglich, will man sich nicht auf eine Stufe mit der eben kritisierten deutschen Öffentlichkeit stellen, die durch mehr Berichterstattung auch mehr Vorfälle präsentieren kann. Man findet zu keiner Lösung, wenn man vor bestimmten Tatsachen die Augen verschließt, deren Berücksichtigung politisch unkorrekt wäre - so ist z.B. klar, dass Rechtsextremismus ein gesamtdeutsches, weil gesellschaftliches Problem ist, ebenso klar ist aber auch, dass die Auswirkungen des Problems vor allem in Ostdeutschland zu sehen sind.

   Wenn nun also zum Fehlverhalten der Medien und der Bevölkerung auch noch Unfähigkeit der Politik kommt, was man neudeutsch als "Bundesregierung" bezeichnet, wird auch die Reichweite des Grundgesetzes eingeschränkt. Im Schweinsgalopp peitscht die Koalition unter Mitwirkung von ehemaligen Guerillakämpfern gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung einen NPD-Verbotsantrag durch Bundestag und Bundesrat, gegen den viele - vor allem staatsrechtliche, aber auch politisch einleuchtende - Gründe sprechen. Besser als durch die 1,0 %-Wahlergebnisse der NPD konnte unsere Demokratie ihre Wehrhaftigkeit nicht unter Beweis stellen, dieses Mittel wird ihr und damit uns Bürgern nun genommen, wenn die Partei denn überhaupt verboten wird. Der angerichtete politische Flurschaden ist jedenfalls so oder so beträchtlich. Entweder die NPD oder im Falle ihres Verbots die DVU und die Republikaner sind danach die verfassungsrechtlich garantierten Saubermänner. 

   Schröders Konsensrunden mögen uns für ein oder zwei Jahre vortäuschen, dass diese Regierung Probleme gelöst hätte. In Wirklichkeit werden sie uns in der Zukunft wie ein Bumerang von den Beinen holen, vor allem die junge Generation, die dann zwar kein Rindfleisch, aber den Problem-Salat hat.

   Die F.D.P. hat es uns in den letzten Monaten mit ihren Personalquerelen nicht leicht gemacht, aber ihre konsequente Ablehnung dieses populistischen Unsinns macht deutlich, warum es sich immer lohnt, ein Liberaler im Sinne Voltaires zu sein. So peinlich ich die Big Brother-Auftritte von Guido Westerwelle finde, ist es mir doch lieber, er begibt sich dort und nicht wie die unheilvolle rot-grün-schwarze Koalition im Bundestag auf niedrigstes Niveau.

   Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Die "fin de siècle"-Stimmung hat den Jahr-2000-Crash leider überlebt und ist ein Grund mehr, zumindest die Liberalen auf vernünftigem Gegenkurs zu halten. Die Lösung des Problems? Wie wäre es mit Auswandern? Aber nein, wenn man bedenkt, was einem auf der Reise alles passieren könnte...

   Quelle: http://www.julis-bonn.de/news.html, Bannmeile 1-2001